Perlen des Wrestlings #5: Der Vorfall Dynamite Kid vs. Jaques Rougeau oder "Es bedurfte der Mafia, um den Dynamite Kid zu Fall zu bringen"

VidDaP

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Im fünften Teil der Kolumne sollte es um einen der berühmtesten Backstage-Vorfälle gehen. Allerdings war es nicht möglich, nur diesen Vorfall darzustellen, ohne das Leben von Thomas Billington alias Dynamite Kid zu beleuchten, der, wie viele andere Wrestler auch, in einem Sumpf aus Drogen und Alkohol gefangen war, bis sein Körper das Ganze nicht mehr mitmachte. Auch die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit waren hierbei zu beachten, um zu verstehen, wie es zum gesamten Vorfall kam. Da Billington der klar talentiertere Wrestler war, wird somit vornehmlich auf sein Leben geschaut, auch wenn gerade bei besagtem Vorfall Rougeaus Version (die er z.B. in Interviews erzählt hat) Berücksichtigung findet. Viel Spaß!

Die Ausgangslage:

Mitte 1986 war Thomas Billington (aka. Dynamite Kid) auf der Höhe seines Schaffens: Zusammen mit seinem Tag Team Partner, seinem Cousin Davey Boy Smith, war er WWF World Tag Team Champion, sie waren die Anführer der Tag Team-Division (die damals nichts mit der heutigen gemeinsam hatte, sondern vielleicht die stärkste aller Zeiten war) und die Promotion stand vollends hinter ihnen. Vince McMahon sah sie als Langzeitchampions, ihre Matches mit der Hart Foundation sorgten für große Begeisterung. Allerdings war hier nicht alles hervorragend, so hat Billington doch schon seit längerer Zeit starke Schmerzen, die er mit einem Mix aus Alkohol und anderen Drogen betäubte. Er selbst beschrieb seinen Alltag so: Morgens gab es Speed, um in den Tag zu starten, bei Reisen Valium und Schmerzmittel, um in den Ring steigen zu können. Nach dem Wrestlen wurde oft gefeiert, wo es Bier und Kokain gab, zum Einschlafen gab es nochmals Valium. So wurden Drogen zu einer Normalität, wie es aber in den 80ern im Wrestling häufiger der Fall war (Leute wie Owen Hart oder Bad News Allen waren hier eher die Ausnahme). Dies ging leider nicht mehr lange gut, denn Ende 1986 gewannen die Schmerzen die Überhand. Bei einem Event in Hamilton, Ontario, Kanada im Dezember brach er auf einmal vor Schmerzen im Ring zusammen, konnte sich noch aus dem Ring rollen, wo er noch ein paar Attacken des gegnerischen Managers abbekam. Er wurde schließlich auf einer Trage aus der Halle getragen.
Die Diagnose: Zwei gebrochene Rückenwirbel, dauerhafte Nervenschäden, die bei zukünftiger Beanspruchung zu einer Querschnittslähmung führen könnten. Ein Mann mit Ende 20, der nichts gelernt hatte, außer professionell zu wrestlen, stand am Wendepunkt. Die Folgen daraus waren der Verlust der Tag Team Championship (bei der Vince McMahon Billington nötigte, schnellstmöglich wieder in den Ring zu steigen, um die Titel zu verlieren, was zur Folge hatte, dass Billington zum Ring gestützt werden musste, da er immer noch kaum stehen konnte), dennoch entschloss er sich, seine Karriere fortzusetzen, und das schnellstmöglich, lockte doch ein Scheck um die 20.000 US-$, sollte er bei WrestleMania III antreten können. Die Pause war demnach viel zu kurz, mit der Folge, dass er nie wieder in den Ring steigen konnte, ohne die härtesten Schmerzmittel nehmen zu müssen. Bret Hart, sein Schwager, sagte dazu:

"Ich konnte es nicht fassen, als mir Michelle (Billingtons Frau, Anm. d. Autors) erzählte, dass sie absolut keine Ahnung hatte, wie schlimm Toms Rücken war. Sie wusste, dass er riesige Mengen [an Schmerzmitteln] bei sich hatte und erzählt mir, dass es normal für ihn sei, 40 Schnapsgläser Wodka am Abend zu trinken."
Billington wurde immer jähzorniger, zog die Einsamkeit vor und bedrohte sogar einmal seine Frau mit einer (wohl ungeladenen) Schusswaffe, so dass Michelle zunehmend in Angst vor ihrem Gatten lebte. Seine nachlassende Belastungsfähigkeit, die zu recht schlechter Darstellung im Ring führte, ein voller Terminkalender und seine Drogen/Alkohol brachten ihn immer weiter an mentale Grenzen und dies führte wohl zum berühmten Zwischenfall, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Der Jacques Rougeau-Vorfall:

Jacques Rougeau (aka. The Mountie), ein Name, den heutzutage wohl niemand mehr für seine In-Ring-Performance kennt, ein typischer Midcarder, der aber zumindest eine zweitägige Regentschaft als Intercontinental Champion und das dreifache Halten der WWF Tag Team Titel vorweisen kann. Was überliefert ist, dass Rougeau wohl backstage ein Streich gespielt wurde, für den dieser die wohl unschuldigen British Bulldogs verantwortlich machte. Nach Überlieferungen hatte wohl Curt Hennig (aka. Mr. Perfect) mehrere Dinge aus Rougeaus Tasche gestohlen, die Schuld aber auf Billington geschoben. Ein paar Wochen später bat Rougeau ausgerechnet Hennig, auf seine Sachen aufzupassen, was dieser dafür nutzte, besagten Streich zu spielen, in dem er die Tasche mit einem Schloss versperrte. Rougeau wollte also zu Vince McMahon gehen, um sich über die Bulldogs zu beschweren. Billington bekam Wind davon, gab an, in seiner Ehre gekränkt worden zu sein und verpasste Rougeau vor dem versammelten Kader eine Abreibung und gab ihn damit der Lächerlichkeit preis. Auch sein Tag Team Partner, Raymond Rougeau, bekam ein paar Schläge ab. Jimmy Hart berichtete, dass Billington in den kommenden Wochen eine "Schreckensherrschaft im Umkleideraum" geschaffen habe, in der er speziell Jacques Rougeau leiden ließ. Dieser wurde von seinen Kollegen fortan gemieden und sagte später, dass er seine Ehre nur wiederherstellen konnte, wenn er "ein eindrucksvolles Comeback" zeigen würde. Da ihm klar war, dass er in einer regulären Konfrontation wohl keine Chance haben würde, beschloss er, Billington mit einem Schlagring aufzulauern. In diesem Punkt gibt es die verschiedensten Aussagen, von einem Schlagring über eine Rolle Quarters (dies empfahl zumindest sein Vater) ist da ziemlich viel dabei. Fakt ist, er hatte einen Gegenstand dabei, der seine Schlagkraft verstärkt hat.

Gesagt, getan. Er ging in einem Moment, in dem Billington beide Hände voll hatte (er trank wohl einen Kaffee und rauchte dabei eine Zigarette), auf diesen zu und rammte ihm den Ring ins Gesicht. Dabei schlug er ihm mehrere Vorderzähne aus. Billington blieb aber entgegen Rougeaus Erwartungen bei Bewusstsein und setzte zum Gegenschlag an, also attackierte Rougeau den angeschlagenen Billington weiter, bis andere Wrestler (und unter anderem Pat Patterson) die beiden trennten. Aus Angst vor Billingtons Rache knüpfte er über einen anderen Wrestler (allem Anschein nach Dino Bravo, der Jacques bester Freund gewesen sein soll.) Kontakt zur Mafia und traf die Vereinbarung, dass er einen Kontaktmann jeden Tag bis Mitternacht anrufen müsse. Sollte er dies nicht tun, wäre ihm etwas passiert und das organisierte Verbrechen sollte sich um Billington "kümmern". Der erfuhr davon und ließ von seinem Opfer ab.

Vince McMahon bekam Wind von alledem und zwang die beiden, Frieden zu schließen und sich die Hände zu schütteln, ansonsten würde er mehrere Prämien einfrieren. Letztlich musste sich Billington also beugen, ging aber manchen Quellen nach dennoch mit einem Gewinn aus der Sache: so beharrte er darauf, dass die Rougeaus für seine Zähne zahlten, was sie auch taten. Jedoch hatte die WWF die Kosten schon bezahlt, wodurch Billington einen Gewinn von ca. 1.800 US-$ machte. Nach Jahren gibt Rougeau aber immer noch an, das Geld nicht bezahlt zu haben.

Die Folgen:

Viele Leute sehen den Handschlag als Ende, als den so genannten "Breaking Point" Billingtons, der kurze Zeit später seine Kündigung einreichte und die WWF verließ. Zuvor traten beide Teams noch gegeneinander an (Survivor Series 1988), jedoch versuchte man seitens der WWF alles, um Billington und Rougeau voneinander zu trennen. Bei besagtem Match hatte Billington Rache für den Vorfall im Kopf, da es aber ein 10-Team Elimination Match war, bookte man Bret Hart dazu, das Team der Rougeaus zuerst zu pinnen. Als die Bulldogs als viertletztes Team das Match verlassen mussten, waren die Rougeaus schon längst aus der Halle verschwunden.

Dynamite Kid trat noch einige Jahr bei verschiedenen Promotionen auf wie Stampede Wrestling oder auch in Japan, musste sich aber immer mehr eingestehen, dass sein Körper diese Strapazen nicht länger mitmachte. Zunehmend gefrustet, flaute das Verhältnis zu seinem Tag Team Partner zusehends ab, bis sich dieser den Markennamen "British Bulldog" schützen ließ und zur WWF zurückkehrte und damit aus Billingtons Leben verschwand. Nach seiner Rückkehr nach England musste er realisieren, dass seine Ehe hinüber war, kurze Zeit später verlor er aufgrund von Komplikationen in Folge seiner Rücken-OP das Gefühl in seinen Beinen, was ihn an den Rollstuhl fesselte.

Der Nachruf:

In seiner Autobiografie spricht Billington davon, alles wieder so zu tun, wie er es getan hat. Ein Mann, den Bret Hart als "besten Wrestler, der je gelebt hat" bezeichnet, den Chris Benoit in Sachen Technik als Idol bezeichnet hat. Jaques Rougeau bezeichnete ihn stets als "Stück Scheiße", würde aber, wenn er die Gelegenheit erhalten hätte, jederzeit ein Bier mit ihm trinken und ihm sagen, dass es ihm leid täte, was zwischen ihnen passiert ist. Am 05. Dezember 2018 verstarb er schließlich an den Rollstuhl gefesselt.

Quellen: armpit-wrestling.com, Tom Billington: "Pure Dynamite", onlineworldofwrestling.com, RF Video, prowrestlingstories.
 
Zuletzt bearbeitet:
Diesmal steht die Perle für das Weiß von Billingtons Zähnen.

nächste Woche schreibe ich wohl über die Nation of Domination - da es ja immer wieder Gerüchte über eine "Widerauferstehung" der Fraktion gibt, gab es den Wunsch, mal etwas darüber zu erfahren. Mal gucken, wofür die Perle da stehen kann, aber Dir wird sicher was einfallen :D
 
Wie immer sehr interessant zu lesen. Super Text.
nächste Woche schreibe ich wohl über die Nation of Domination - da es ja immer wieder Gerüchte über eine "Widerauferstehung" der Fraktion gibt, gab es den Wunsch, mal etwas darüber zu erfahren. Mal gucken, wofür die Perle da stehen kann, aber Dir wird sicher was einfallen :D
Nation of Domination würde mich tatsächlich auch interessieren. Ich kenne die Gruppierung zwar, aber da das halt deutlich vor meiner Zeit war, kenne ich nur Schnipsel dazu.
 
Sehr schön geschrieben, vielen Dank! Das Leben vom Dynamite Kid ist schon eine sehr traurige Geschichte. Wer auch immer bei diesem Vorfall damals recht hatte ist, finde ich, eigentlich relativ egal. Die Lockerrooms in den 80ern sind definitiv ein anderer Ort gewesen, als sie es heute sind. Vorfälle wie Jericho vs. Lesnar, die es heute in die News schaffen hat es da gefühlt jeden Abend geben, von dem angesprochenen Drogenmissbrauch ganz zu schweigen. Und auch wenn die 80er-Jahre die Blütezeit des Wrestlings gewesen sind, ist es doch sehr gut, dass sich bis heute viele Dinge geändert haben.
 
Kann mich meinen Vorrednern nur anschließen, sehr schön geschrieben!
Hab mir mal das Video angeschaut wo er sich dann verletzt hat. Ist das durch den Tritt gekommen, stehe da etwas am Schlauch. Oder war er da schon so fertig, dass das Nur eine Frage der Zeit war?,
 
Ich denke, es war ein Mix aus beiden, die Vorschäden waren sicher da, aber er wird auch den richtigen Hit abbekommen haben.
 
Kann mich meinen Vorrednern nur anschließen, sehr schön geschrieben!
Hab mir mal das Video angeschaut wo er sich dann verletzt hat. Ist das durch den Tritt gekommen, stehe da etwas am Schlauch. Oder war er da schon so fertig, dass das Nur eine Frage der Zeit war?,
Da war sein Rücken schon total kaputt. Der Tritt, obwohl kein harter, war der Tropfen, der das Fass zum überlaufen gebracht hat. Man kann da richtig sehen, dass er sich danach vor Schmerzen kaum bewegen kann.
 
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