Wrestling bei Gericht

Luke Geld

Perfect Stan
Ich habe zum Spaß mal mit den Stichworten "Wrestling" und "Catchen" in einer juristischen Datenbank nach Urteilen deutscher Gerichte gesucht und möchte euch präsentieren was ich gefunden habe: Die Rechtsgebiete reichen von Körperverletzung mit Todesfolge/Totschlag über Patentrecht bis hin zur Künstlersozialabgabenpflicht von Wrestlern. Manche der Entscheidungen erwähnen Wrestling nur am Rande, andere machen das Wrestling zum Hauptgegenstand im Prozess. Manche Entscheidungen haben/hatten Einfluss auf die Wrestling-Kultur in Deutschland und manche Urteilsbegründungen finde ich einfach nur interessant. Im Laufe der nächsten Zeit werde ich für euch die interessantesten dieser Urteile aufbereiten und hier vorstellen. Und nun, da ich der seichten Vorrede genug gefröhnt habe: Ladies and Gentleman! This is "Wrestling bei Gericht"

Wrestling und der Jugendschutz
Zum Einstieg möchte ich mich einem Thema widmen, dass uns allen bekannt sein dürfte: Wrestling-Shows im Fernsehen und die Jugendschutzgrenzen bei der Ausstrahlung. Vor über 20 Jahren, im August 1995 untersagte die hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk dem Sender RTL2 die Ausstrahlung von "WWF-Superstars am Nachmittag". Diese Show lief, wie der Name es vermuten lässt im Vorabend/Nachmittags-Programm. Aber nur ein einziges mal. Der Sender wehrte sich erfolglos gegen dieses Verbot, denn sowohl das Verwaltungsgericht Frankfurt (Az.: 15 G 2446/95) als auch der hessischen Verwaltungsgerichtshof (Az. 6 TG 2860/95) stuften Wrestlingshows, als "jugendgefährdend" ein und erklärten es für zulässig die Ausstrahlung von Wrestlingshows vor 21 Uhr zu verbieten.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof führte dazu aus: "Kinder können nicht erkennen, dass es sich bei den gezeigten Kämpfen um reine Show-Veranstaltungen handelt. Es erfordert ein genaues und aufmerksames Hinsehen, Verständnis der größeren Zusammenhänge sowie ein abstrahierendes Wertungsvermögen um zu erkennen, dass die Akteure sich nicht gegenseitig verletzen. Über diese Eigenschaften verfügen zweifellos die Zielgruppe der Kinder, die üblicherweise um 16 Uhr fernsehen, nicht. Zu dem Eindruck, es handele sich um einen echten Kampf, trägt - neben der Mimik und Gestik der Akteure - auch die überhaupt nicht kindgerechte Moderation bei."
Es half auch nichts, dass RTL2 Einspieler für vor und nach der Show produzierte, in denen erklärt werden sollte, dass das alles nur Show ist, denn es sei nicht sichergestellt, dass die Kinder auch diese Einspieler anschauen würden und selbst wenn, dass sie diese auch in Gänze verstehen könnten. Man merkt also Wrestling ist eine doch sehr anspruchsvolle Unterhaltungsform. ;) Vielleicht war den Gerichten der Einspieler auch deshalb nicht ausreichend, weil man dort versuchte Carsten Schäfer, der ja bekanntlich schon rein körperlich nicht in der Lage ist Kayfabe zu brechen, Kayfabe brechen zu lassen. Diese Perle möchte ich euch nicht vorenthalten:

Die JOBBERCARD
Ein gänzlich anderer Fall, der auch Wrestling nur am Rande berührt, wurde im August 2006 vor dem Bundespatentgericht (Az. 33 W (pat.) 134/04) verhandelt: Das bayrische Patentamt lehnte einen Antrag ab, den Begriff "JOBBERCARD" als Marke schützen zu lassen. Dagegen erhob der Antragssteller, ein Anbieter von Dienstleistungen für Gelegenheitsarbeiter, Klage. Da der Markenschutz der "JOBBERCARD" vom Patentamt abgelehnt wurde, weil die Jobbercard aus Sicht des Amtes bereits ein in der Umgangssprache verankertes Wort sei, dass lediglich einen beschreibenden Charackter aber keine Unterscheidungskraft für die konkrete Dienstleistung habe, untersuchte das Gericht diese Vermutung gründlich. Neben intellektuellen Ausflügen in beliebte Lokalzeitungen und an die Londoner Börse begab sich das Gericht auch auf das ungewohnte Terrain des Wrestlings um die Bedeutung des Wortes "Jobbercard" zu erforschen.
Dies ist die Erkenntnis des Bundespatentgerichts: "Von den nur 17 Treffern der Suchmaschine [...] während sich der überwiegende Teil der Treffer auf das amerikanische Wrestling (Catchen) bezog. In der Fachsprache des Wrestling wird unter dem Begriff "jobber card" offenbar eine Veranstaltungsreihe von Showkämpfen verstanden, in denen Catcher eingesetzt werden, die ihren Kampf (berufsmäßig) verlieren." Damit schenkte uns das Gericht, die einzige juristisch festgeschriebene Definition eines Wrestling-Begriffs. :D Leider stieß das Gericht nicht tiefer in die Welt des Wrestlings vor. "Dies bedarf hier keines weiteren Eingehens, da es insoweit an jeglichem Bezug zu den beanspruchten Dienstleistungen fehlt."
Doch für eine Erwähnung hier reicht es mir allemal, denn auf der Grundlage dieses Urteils kann ich nun das Match-Up für die Wrestlemania Pre-Show rechtssicher als Jobbercard bezeichnen. ;)

Der Catcher/Wrestler als Arbeitnehmer
Im November 1978 urteilte der Bundesfinanzhof (kurz: BFH; Az. I R 159/76) abschließend über einen Fall von, sagen wir mal, Steuerhinterziehung. Ein anonymisierter Deutscher veranstaltete in den Jahren 1973 und 1974 mehrere "Catch-Turniere". Dabei beschäftigte er mehrere Wrestler und Ringrichter. Alle Beschäftigten erhielten pro Auftritt eine gewisse Gage. Leider vergaß der Veranstalter die Lohnsteuer für die gezahlten Gagen einzubehalten und diese ans Finanzamt abzuführen. Er war davon überzeugt, dass die Wrestler und Ringrichter nicht seine Arbeitnehmer sondern selbstständige Unternehmer seien und dass er demzufolge nicht als Arbeitgeber eine Lohnsteuer abführen müsste, sondern dies den Akteuren selbst überlassen sei die Einnahmen in ihren jeweiligen Steuererklärungen anzugeben. Hauptgrund für diese Annahme war, dass Berufsboxer eben nicht als Arbeitnehmer galten (Grund: Berufsboxer tragen/trugen einen Großteil des unternehmerischen Risikos selbst mit.) Dem kam das zuständige Finanzamt im Rahmen einer Steuerprüfung auf die Spur und forderte anschließend die Lohnsteuer für alle bezahlten Gagen nachträglich ein. Das Finanzamt war nämlich davon überzeugt, dass die Wrestler eben doch Arbeitnehmer des Veranstalters waren und er deshalb die Lohnsteuer abführen musste. Der Veranstalter klagte gegen den entsprechenden Bescheid des Finanzamtes und so kam der ganze Fall vor Gericht.
Das Gericht entschied zum einen, dass zwischen Ringrichtern und Wrestlern keine Betrachtungsunterschied erfolgen müsse, da sich die Tätigkeiten und die Beschäftigungsverhältnisse nicht wesentlich voneinander unterscheiden. Zum anderen befand das Gericht, dass Wrestler, im Gegensatz zu Profiboxern, Arbeitnehmer seien, die kein unternehmerisches Risiko mittragen und über die der Veranstalter, als Arbeitgeber, völlig frei bestimmen kann (Er kann ihnen ja sogar sagen ob sie gewinnen oder verlieren sollen.) Dieses Über- und Unterordnungsverhältnis ist klassisches Merkmal eines Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverhältnisses. Das einzige Risiko, dass die Wrestler trügen, sei allenfalls ein persönliches Verletzungsrisiko. Dies gehört nach Ansicht des Gerichts jedoch zur Natur der ausgeübten Tätigkeit als Catcher und stellt somit kein besonderes, vom Wrestler selbst getragenes, Risiko dar, dass ihn als Nicht-Arbeitnehmer qualifizieren könnte. Also bestätigte schlussendlich der BFH die Entscheidung des Finanzamtes und der Veranstalter musste eine (vermutlich) kräftige Summe an nicht gezahlter Lohnsteuer nachbezahlen.

Das Death-Match
Der Bundesgerichtshof (kurz BGH; Az. 1 StR 191/09) urteilte im Juni 2009 über die Geschehnisse eines schrecklichen Partyabends:
Der Angeklagte und ein anderer Partygast fröhnten dem Alkohol und vertrieben sich die Zeit mit "catchen". Dabei fiel der Angeklagte bereits früh durch seine übertriebene aggresivität auf. Gegen 2:30 Uhr rangen er und der andere Partygast so heftig miteinander, dass der Gastgeber dazwischen ging und die beiden trennte. Der Gast provozierte daraufhin den Angeklagten und schubste ihn über einen Tisch. Dies führte dazu, dass Glas zu Bruch ging und sicher quer über dem Boden verteilte. Der Angeklagte rastete daraufhin aus, nahm eine der Scherben vom Boden und rammte sie dem anderen Partygast in den Hals. Dieser verblutete innerhalb von weniger als 5 Minuten und starb an Ort und Stelle, noch bevor Rettungskräfte den Tatort erreichen konnten.
Die Gerichte entschieden nicht auf Mord oder Totschlag, sondern befanden den Angeklagten lediglich einer Körperverletzung mit Todesfolge für schuldig. Grund dafür war, dass man dem Täter keinen Tötungsvorsatz bei seiner Handlung unterstellen konnte. Der gesunde Menschenverstand mag zwar denken: Wenn man jemandem eine Glasscherbe in die Halsschlagader rammt, dann muss man doch damit rechnen, dass derjenige dann verblutet und stirbt. (Dies entspräche einem sogenannten bedingten Vorsatz.) Jedoch stellte das Gericht fest, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt seiner Tat nicht in der Lage war die tödliche Folge seines Handelns vorher abzusehen. Dies führte das Gericht zum einen auf den beträchtlichen Blutalkoholwert von ca. 2,96 Promille, welcher beim Angeklagten festgestellt wurde, zurück. Zum anderen sah das Gericht beim Angeklagten einen "aggressionsbedingten Erregungszustand" durch das voran gegangene catchen, wodurch der Angeklagte zusätzlich enthemmt wurde und tatsächlich ohne irgendeine Überlegung zum tödlichen Stich ausholte.
Eine vermeintlich harmlose Keilerei wurde so innerhalb weniger Momente wortwörtlich zu einem Death-Match. Und dieser tragische Fall, auch wenn er in seinem fatalen Ausgang sichelich ein Extrembeispiel ist, verdeutlicht nochmals die große Bedeutung der Worte: "Don't try this at home!"

(Diese Kolumne wird noch fortgesetzt, sobald ich mich durch weitere Urteile durchgewälzt habe. Ungefähr doppelt so viel, wie hier bereits präsentiert wurde steht noch aus. Also: stay tuned oder in den unsterblichen Worten von Matt Striker: "Don't you dare go away!" ;) )

Quellen: Juris; Youtube
 
Zuletzt bearbeitet:
(Diese Kolumne wird noch fortgesetzt, sobald ich mich durch weitere Urteile durchgewälzt habe. Ungefähr doppelt so viel, wie hier bereits präsentiert wurde steht noch aus. Also: stay tuned oder in den unsterblichen Worten von Matt Striker: "Don't you dare go away!" ;) )


Schöner Thread, ich würde mich über eine Fortsetzung freuen :)
 
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