WrestleMania ohne Mania Week: Was haben wir verpasst? Eine Regnose

Einleitung

WrestleMania 36 geht in diesem Jahr – wenn auch unter ungewohnten Voraussetzungen – trotz des Coronavirus über die Bühne. Dennoch müssen Wrestlingfans in diesem Jahr auf ein ganz großes Highlight verzichten, schließlich fiel die Mania Week den Auswirkungen des Virus zum Opfer. Für nicht wenige Fans ist es sogar DAS Highlight des Wrestlingjahres, denn dieses einwöchige Festival des Wrestlings ist an Vielfalt nicht zu überbieten.

Nicht nur die Fans strömen in dieser Woche aus aller Welt zum Austragungsort von WrestleMania, auch die Events der Mania Week sind so international wie zu keinem anderen Zeitpunkt im Jahr. Von Lucha Libre bis Puroresu, von Comedy bis Shootstyle, vom Event der kleinen Indy Promotion von nebenan bis zur gemeinsamen Supercard of Honor von ROH und New Japan – sämtliches Wrestling findet innerhalb dieser wenigen Tage Platz. Die Fans haben eine riesige Auswahl und kommen mit verschiedenen Paketangebot voll auf ihre Kosten und auch schnell auf eine zweistellige Anzahl von Events, die zumindest teilweise geschaut werden.

In diesem Jahr müssen wir auf all das leider verzichten. In Zeiten von Corona gibt es viele Prognosen wie die Zukunft aussehen könnte und auch im Wrestling gibt es aktuell viele Gedankenspiele. Einer der interessantesten Beiträge zum Thema Corona kam aber kürzlich vom Publizisten und sogenannten Zukunftsforscher Matthias Horx. Dieser stellte eine Rückwärts-Prognose – also eine Regnose – auf, in der er beschreibt, wie man sich im Herbst 2020 rückblickend an die vergangenen Monate erinnern könnte.

Genau dasselbe Gedankenspiel will ich nun auf die Mania Week übertragen. Wenn wir sie nicht schon nicht real miterleben können, macht es doch zumindest Spaß, darüber nachzudenken, was hätte passieren können und an was man sich noch im Nachhinein erinnert.

Donnerstag

Bis zum Donnerstag gab es einige kleine Shows sowie eine Vielzahl an Podcasts und kleinen Conventions, ehe die Mania Woche traditionell an diesem Tag so richtig startet. Im Rahmen von WrestleCon veranstaltete New Japan Pro Wrestling mit der Lion’s Break Project 3 Show erstmals ein eigenständiges Event in der Mania Week. Und das mit Young Lions sowie Veteranen gespickte Event lieferte auch voll und ganz ab.
Noch lange wird man sich an die Schlacht im Main Event zwischen LIJ und CHAOS erinnern. Wie gewohnt gleitete Will Ospreay dabei mit spektakulären Flugeinlagen durch die Lüfte, die ihn in den letzten Jahren zum Publikumsliebling und einem der besten Wrestler der Welt gemacht haben. Auch in diesem Match bereiteten sie ihm den Weg zum Strombreaker und dem siegreichen Pinfall über SANADA.
Anschließend schien die Luft still zu stehen und das Publikum hielt kurz den Atem an, bevor sich Ospreay im Toben der Menge die IWGP Heavyweight Championship griff und eine Herausforderung an den Champion Tetsuya Naito aussprach – für ein Titelmatch im Sommer in der Wembley Arena in seiner Heimatstadt London. Noch in vielen Jahren wird man sich daran erinnern, dass dies der Ausgangspunkt für die erste Heavyweight Regentschaft Ospreays war.
Fast schon schockierend war hingegen die Attacke von Minoru Suzuki nach dem Event, der zuerst die Young Lions aus dem LA Dojo im Ring verletzte und anschließend auch noch ihren Mentor Katsuyori Shibata ohne Rücksicht auf dessen schwere Vorschädigung brutal zurichtete. So startete der letzte große Run des Altmeisters als ultimater Heel.

Brutal ging es auch am Donnerstag weiter, denn auch in diesem Jahr stand Josh Barnett’s Bloodsport auf dem Programm. Dort setzte Minoru Suzuki seiner Zerstörungwut erneut freien Lauf und ließ einen stark blutenden Chris Dickinson im Ring zurück.
Mit weniger Brutalität, aber schierer körperlicher Kraft bot sich den Fans ein weiteres Schmankerl in Form des Duells zwischen Dan Severn und Jeff Cobb. Der 61-jährige Severn konnte nicht nur körperlich mit dem Kraftpaket Jeff Cobb mithalten, sondern unter dem Jubel der Zuschauer lieferten die beiden ehemaligen Weltklasse-Ringer auch ein taktisches Meisterwerk mit vielen technischen Raffinessen, ehe Cobb sich in diesem Match mit speziellem Regelwerk am Ende mit einem klassischen Pinfall durchsetzen konnte.
Im Main Event wartete dann noch der lange ersehnte Kampf zwischen Josh Barnett und Jon Moxley. Während Mox das Publikum zum Toben brachte, bewies Barnett, dass er weiterhin ein Meister des Catch Wrestlings ist, mit dem er regelmäßig die Kontrolle erlang. Letztendlich war der Wille von Mox jedoch zu stark, sodass er mit einem eindrucksvollen KO auch außerhalb von AEW seine Marke setzen konnte.

Einen unterhaltsamen Abschluss des Donnerstagabends lieferte schließlich ICW No Holds Barred mit jeder Menge lautstarken britischen Fans im Gepäck. Ein besonderes Highlight war in diesem Zuge das Intergender Match zwischen Amazing Red, der sein eindrucksvolles Comeback nach seinem im letzten Jahr verkündeten Rücktritt fortsetzte, sowie Tessa Blanchard, die als absolute Intergender Spezialistin und amtierender Impact World Champion sich in einem Match mit denkwürdigen Spots den nächsten männlichen Skalp sicherte.
Dagegen wirkte das Match zwischen Low Ki und Nick Gage wie eine Schlägerei in einer Bar – oder eben wie ein typisches Match von Nick Gage. In dem Match ohne Regeln kam der frühere CZW Star wieder stark zur Geltung und profitierte dabei auch, dass Low Ki mit seinem stiffen Stil zum besten Hardcore Match der Woche beitrug.
Einen absoluten Höhepunkt lieferte auch noch der Auftritt von Kenta Kobashi, der bereits zuvor für ein Meet & Greet zur Verfügung stand und damit erstmals seit Jahren wieder bei einer Show in den USA auftrat. Im Rahmen der Show gab es für alle Fans des Altmeisters einen kleinen Mark Out Moment, als er einige seiner berühmten Chops verteilte.

Freitag

Der Freitag hingegen stand voll im Zeichen des Women’s und Comedy Wrestlings. Beides zusammen mit einer Prise japanischer Verrücktheit konnten alle Fans bei der gemeinsamen Show Tokyo Joshi Pro with DDT erleben, in der wie bereits in der letztjährigen Mania Week die Puppe Yoshihiko mit einem Titelgewinn der Ironman Heavymetalweight Championship einen eindrucksvollen Auftritt hinlegte. Und wem dies noch nicht genug Extravaganz aus dem Land der aufgehenden Sonne war, kam beim Auftritt der überdimensionalen Figuren von Kaiju Big Battel endgültig nicht mehr aus dem ungläubigen, aber doch freudigen Staunen über so viel kreativen Unsinn im Wrestling Business heraus.


Bei Shimmer Volume 120 ging es hingegen auf wrestlerisch höchstem Niveau zu. Nicht nur traten im Rahmen der Show einige Joshis an, um sich gegen ihre Konkurrentinnen von der US-amerikanischen Promotion zu messen, in Person von Madison Eagles kehrte nach der Titelverteidigung von Kimber Lee im Main Event auch noch eine absolute Legende der Promotion und des Women’s Wrestling zurück, um die Championess in einem denkwürdigen Moment herauszufordern.

Wer von der Comedy noch nicht genug hatte, für den gab es gleich drei weitere Shows mit einem lockeren Ansatz. Bei Ethan Page’s Body Guy Extravaganza sorgte vor allem das Three Stages of Hell Match zwischen Scott Steiner und Brian Cage für große Heiterkeit. Insbesondere die ersten beiden Phasen mit einer Debatte über Mathematik und Geschichte sowie ein selbstverliebtes Pose-Off sollte die Wrestling Community noch viele Monate mit amüsanten Memes und GIFs versorgen.
Für eine große Überraschung sorgte auch die Open Master Lock Challenge von Chris Masters, denn nach einigen leichten Opfern kamen unter den Klängen des Bullet Clubs Tama Tonga, Tanga Loa sowie King Haku zum Ring. Beim Anblick von Haku nahm Masters lieber die Beine in die Hand, sodass die Guerillas of Destiny noch ihr Match bei der Supercard of Honor anheizten.
Fast schon traditionell stand auch Joey Janela’s Spring Break mit der großartigen Paarung Minoru Suzuki vs. Orange Cassidy auf der Card. Selten hatte man Suzuki in kurzer Zeit so zwischen Belustigung und Verwirrung schwanken sehen wie in diesem Match, das Cassidy trotz großartigen Kampfes via Submission verlor, nachdem einer seiner gefährlichen Kicks in einen Leglock gekontert. Fans von Cassidy fechteten die Entscheidung jedoch an fordern bis heute ein Rematch, weil niemand den Tap in den Hosentaschen von Cassidys Jeans beobachten konnten.
Den absoluten Overkill in Sachen bizarres Programm lieferte jedoch Marcus Crane’s Bondage A Gogo Show, bei der sich No Ring Deathmatches mit Burlesque und BDSM Einlagen abwechselten. Passend dazu gab es die Ansetzung zwischem dem „Feminist Icon“ Effy und „Filthy“ Tom Lawlor, der wieder tief in die Kleiderkiste griff und als „Silverdust“ auftrat.

Samstag

Den wrestlerisch wohl stärksten Tag lieferte aber wieder der Samstag. Auch dieser kam zwar nicht mit einem kuriosen Klassiker der Neuzeit in Form von Joey Ryan’s Penis Party, die aber das unterhaltsamste Match des Wochenendes lieferte. Selten gab es eine Paarung in der die Rollen so klar verteilt waren wie beim 6-Man Tag Team Match zwischen den guten Schwachköpfen Joey Ryan, Colt Cabana und Grado sowie den bösen Zerstörern Minoru Suzuki, Ken Shamrock und Tom Lawlor. Dies führte jedoch zu zahlreichen amüsanten Momenten und am Ende konnten die Faces mit der Kraft von Joey Ryans Penis tatsächlich das Match für sich entscheiden.

Die wohl spektakulärsten Einlagen bot hingegen das WrestleCon Worldwide Event, das sich komplett dem Motto Lucha Libre verschrieben hatte und mit einigen Special Guest wie Jack Evans oder TJP auwarten konnte. Und ein ganz besonderer Moment für alle deutschen Fans war auch die wXw 16 Carat Revenge Show in Tampa, denn wann hat man einmal ein größeres Event einer deutschen Promotion während der WrestleMania Week in den USA gesehen?

Die ganz großen Highlights lieferten aber wie schon im vergangenen Jahr die Supercard of Honor sowie NXT TakeOver: Tampa Bay. So lieferte die Supercard of Honor unter anderem mit Marty Scurll vs. Jay White eines der besten Heel vs. Heel Matches der jüngeren Vergangenheit ab. Ihr Charisma sorgte für einen enormen Unterhaltungswert, ehe sich sowohl Villain Enterprises als auch der Bullet Club in das Match einmischten.
Der Unterhaltungswert wurde auch im 6-Man Tag Team Match zwischen der Mexisquad – bestehend aus Bandido, Flamita und Rey Horus – und Will Ospreay, Amazing Red sowie Rocky Romero. Naturgemäß gab es in diesem Match eine Vielzahl von spektakulären Spots, die Ringseile blieben fast keine Sekunde lang unberührt. Neben dem unglaublichen Tempo des Matches wird jedoch das Finish in ewiger Erinnerung bleiben, bei dem Red einen Frankensteiner gegen Horus landete, der anschließend von Ospreay in den Stombreaker gehoben wurde.

Spektakel wurde auch bei TakeOver im Ladder Match um den Number One Contender Status für die NXT Women’s Championship geliefert. Mit dem ersten Multi-Women Ladder Match in der Geschichte der WWE war es mal wieder Zeit für die Frauen bei NXT, um Geschichte zu schreiben. Überraschenderweise landete Bianca Belair den letzten Spot im Match und nutzte diesen auch aus, um einen denkwürdigen Moment zu kreieren: ihre Double Powerbomb aus dem Ring heraus auf eine Leiter wird ein Spot sein, der ewig in Erinnerung bleibt. Letztendlich schaffte jedoch die in diesem Match so schön leidende Candice LeRae endlich den großen Schritt, sich ein Titelmatch beim nächsten TakeOver zu sichern.
Den großen Abschluss der Mania Week setzte jedoch ihr Mann Johnny Gargano, der zu einem allerletzten Aufeinandertreffen gegen Tommaso Ciampa in die Schlacht zog, um sich zu beweisen, dass er erneut die NXT Championship gewinnen kann. In einem erbitterten Match, das selbst ihre bisherigen Duelle in den Schatten stellte, schenkten sich die langjährigen Freunde und Rivalen absolut nichts, so attackierte Gargano sogar gezielt das geschädigte Knie von Ciampa. Letztendlich errang er tatsächlich den Sieg, woraufhin Ciampa zum Schock aller Anwesenden sein Karriereende verkündete. Dieser Cliffhanger sollte vorerst der große Abschluss der wohl besten Storyline sein, die jemals bei NXT produziert wurde.

Schluss

All das hätte so oder so ähnlich in diesen Tagen stattfinden können – schließlich waren die meisten der Ansetzungen vor der Absage genau so gebookt – und zeigt auf, wie viel im Wrestling Business ohne die WrestleMania Week tatsächlich fehlt. Hoffentlich hat diese kreative Fantasiereise zumindest etwas von dem einzigartigen Gefühl dieser Events vermittelt. Und ansonsten gilt, dass die Vorfreude auf das nächste Jahr mindestens genau so viel Laune macht wie diese Reprognose über die ausgefallenen Events in diesem Jahr. Denn die nächste Mania Week kommt bestimmt.
 
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