Hier meine Eindrücke zum Wochenende in ungeordneter Reihenfolge, wie es mir gerade in den Sinn kam.
- Fangen wir an mit den Geschehnissen um David Starr, die für mich vieles an diesem Wochenende überschattet haben. Wenn man sich Starrs Worte nach dem Match nochmal ins Gedächtnis ruft und das berücksichtigt, was man am Rande so aufschnappen konnte, wird für mich deutlich, dass die Trennung zwar irgendwo einvernehmlich, aber auf Druck von WWE oder zumindest, weil die wXw es präventiv vermeiden wollte, der WWE auf die Füße zu treten, von Statten ging. Damit zeigt sich für mich erstmals ein sehr hässliches Gesicht der Kooperation von wXw und WWE. Bei anderen Dingen, die dieser Kooperation bisweilen von einigen zugeschrieben werden - bspw. einige unglücklichen Booking-Entscheidungen - bin ich eher zurückhaltend, da von außerhalb einfach nicht abzuschätzen ist, ob und wenn ja in welchem Maße die WWE auf solche Dinge Einfluss nimmt. Der Abgang von David Starr schmerzt nun aber extrem. Mit ihm verliert man eine Konstante der letzten Jahre. Er hat in seinen Matches, vor allem aber auch in den Erzählungen, in denen er involviert war, immer abgeliefert. Wenn die Kooperation mit der WWE es im Gegenzug ermöglicht, in unregelmäßigen Abständen NXT:UK-Talent zu verpflichten, dann wiegt das für mich den Verlust eines Workers wie Starr nicht im Ansatz auf. Finanziell gesehen mag sich die Zugkraft der WWEler für die wXw lohnen, das Produkt bringt es in meinen Augen nicht voran. Da das NXT:UK-Talent immer nur sporadisch da ist, können sie nicht in längerfristige Stories eingebunden werden und sind damit nicht mehr als eine nette Dreingabe bei den Shows. Leute wie Starr, die in langen Stories Emotionen vermitteln können, sind es, die einen langfristig an das Produkt binden. In diesem Sinne war der Samstag für mich ein schwarzer Tag in der Geschichte der wXw. Und ich denke es ging nicht nur mir so, ich habe bisher noch nie so eine gedrückte Stimmung nach einem Carat-Samstag wahrgenommen.
- Zum Sieger des 16 Carat Gold: Mir, der UK-Wrestling kaum bis gar nicht verfolgt, war Cara Noir vor dem Carat nur vom Hörensagen bekannt. Leider hat man es über das Wochenende nicht geschafft, mir den Charakter wirklich näher zu bringen. Es war definitiv eine gute Entscheidung, ihn im Vorfeld vom Carat überhaupt mal im wXw-Produkt zu zeigen, mehr als ein Entrance war es bei Dead End dann aber halt auch nicht. Klar, er hat einen einzigartigen Look und einen spannenden Entrance, für mich bleibt der Charakter aber etwas nichts-sagend. Ich glaube, man wollte da viel über Gestik und Mimik machen, vor allem im Final-Match wirkte das so auf mich. Das hat bei mir und einigen Leuten um mich herum aber eher zu Verwirrung geführt, da wir aus dem Gezeigten nicht deuten konnten, was Cara Noir uns hier gerade sagen wollte. Mit diesem Eindruck mag ich in der Minderheit sein, schließlich kam er bei weiten Teilen des Publikums sehr gut an, für mich hat die fehlende Connection zum Charakter aber definitiv die Emotionen beim finalen Sieg geschmälert.
Ein positives Gegenbeispiel ist wie man mit Eddie Kingston verfahren ist. Er hat durch die Promo nach seinem Erstrundenmatch unfassbar viel gewonnen. Plötzlich waren der Charakter und seine Motivation sehr viel greifbarer, was ihn und seinen weiteren Turnierverlauf sehr viel spannender gemacht haben.
- Ich finde es gut, dass dieses Jahr jemand von außerhalb das Carat gewonnen hat. Nachdem die letzten Jahre immer eigene Leute siegreich waren, war es in meinen Augen an der Zeit, mal wieder ein Fly-In gewinnen zu lassen. Andernfalls leidet die Glaubwürdigkeit der Fly-Ins doch schon sehr, wenn man irgendwann weiß, dass sie das Turnier eh nie gewinnen. Insbesondere, da man durch viele namhafte Abgänge dazu genötigt ist, gerade massiv eigene Leute aufzubauen, finde ich diesen Schritt sehr mutig und sehe gleichzeitig wohlwollend die Versuche, die eigenen Leute nach dem Ausscheiden im Turnier auf andere Weise zu pushen. Das hat für mich zwar mal mehr und mal weniger gut funktioniert, ist aber der richtige Weg.
Für Alexander James bspw. war mir der Aufbau-Gegner mit Alpha Kevin vom Namen her zu klein, als dass ein Sieg ihm viel bringen würde. Sein Auftreten in seiner neuen Story dagegen finde ich bisher richtig gut, er zeigt da die nötige Intensität. Das Ganze muss dann nur irgendwann auch auf ein bedeutendes Match für ihn hinauslaufen, um wirklich etwas zu bringen.
Al-Ani dagegen hat nach seinem Ausscheiden ein paar namhafte Leute besiegt, hier fehlt es dann eher an der Story. Die kann aber durchaus auch noch in zusätzlichen Segmenten nachgereicht werden, die eventuell noch in den wXw Now-Release eingebaut werden. Es hat sich ja bspw. ein Programm mit Jurn Simmons angedeutet.
Abschließend bleibt noch Lucky Kids Heel-Turn zu nennen, mit dem er hoffentlich endlich wieder in die richtige Spur kommt. Die ganze Inszenierung fand ich richtig cool, mir gefällt sein neuer Look, die Umbenennung zu seinem bürgerlichen Namen Metehan und dass er nun der klare Leader eines Stables ist, statt nur ein normales Mitglied eines solchen zu sein. Ich fand es super, dass er direkt seine Motivation erklärt hat. Das geht bei Heel-Turns oft völlig ab und macht sie damit sehr unglaubwürdig. Hier kann ich die Veränderung in seinem Charakter vollkommen nachvollziehen, da er das in seiner Promo (trotz ein zwei blöder Verhaspler) sehr gut und mit der richtigen Intensität rübergebracht hat. Jetzt ist endlich wieder Feuer in dem Charakter und ich habe richtig Bock auf zukünftige Entwicklungen und Stories.
- Dem Titelgewinn von Axel Tischer stehe ich etwas gespalten gegenüber. Ich finde es nicht gut, dass Avalanche nun wieder nur eine recht kurze Titel-Regentschaft hatte. Die Erweiterung zu einem 3-Way hätte es ebenso nicht gebraucht. Da das Match als Singles-Match angekündigt war und nur in dieser Konstellation auch einen Story-Aufbau hatte, hat das Hinzufügen von Axel Tischer das Ganze für mich eher verwässert und Spannung herausgenommen. Überhaupt hatte sein Auftritt im Vergleich zum letzten Jahr viel weniger Impact, während des Matches gab es eigentlich nur für Avalanche und Ilja Chants. Dass er den Titel gewonnen hat geht aber insofern für mich in Ordnung, als dass man jetzt wohl etwas längerfristig auf ihn zurückgreifen kann und mit Lucky Kids Turn nun auch ein Fehden-Programm für ihn in den Startlöchern hat. In diesem Sinne hat man den "What the fuck, was soll das?"-Moment beim Pin glücklicherweise sehr schnell in ein positives Gefühl umgewandelt.
- Man gibt aktuell den genau richtigen Leuten viel Redezeit. Insbesondere im Bereich Comedy macht man dabei viel richtig. Hervorzuheben sind dabei Andys Paint-Promo und Levaniels Deathmatch-Promo. Die beiden haben ein herausragendes Talent, solche Dinge vorzutragen und man merkt, dass sie damit beim breiten Publikum auch sehr gut ankommen.
- Die Shows am Freitag und Samstag gingen in meinen Augen zu lang. Der Main Event am Freitag hätte vermutlich noch viel besser gezogen, wenn nicht viele Fans schon etwas müde gewesen wären. Das Problem hatten wir bei vorherigen Carats aber auch schon. 10 Matches (8 Vorrundenmatches, Alternate 4-Way und Tag Team Title Match) sind in meinen Augen einfach zu viel. Vielleicht hätte man das Tag Team Title Match lieber am Samstag gezeigt und sich am Freitag stattdessen auf die Turnierkämpfe beschränkt. An sich war die Länge der Matches am Freitag nämlich nicht das Problem, sondern einfach die schiere Anzahl. Am Samstag war es dann tatsächlich eher die Länge des Main Events, die etwas geschlaucht hat.
- Dass Bobby Gunns nun auch weiterhin Champion ist und in den Main Events steht ist für mich ein riesiges Problem. Ich habe am Wochenende von vielen Leuten gehört, dass sie von Bobbys Matches nicht begeistert sind und dass sie ihn nicht mehr in diesem Spot sehen möchten. Und mir geht es absolut genauso. Man hat in den Videos vor dem Match gegen David Starr stolz darauf hingewiesen, dass Bobby nun schon im vierten Main Event einer Festival-Veranstaltung in Folge steht. Für mich ist das kein Erfolg, sondern ein Zeichen dafür, wie schwach das Main Event-Picture bei der wXw aktuell ist. Bobby kann Geschichten erzählen, das möchte ich ihm gar nicht absprechen. Aber seine Matches sind für mich zu eintönig und vorhersehbar, als dass sie mich abholen würden. Bei seinen Matches bei der World Tag Team League 2018 gegen Ilja und beim 16 Carat Gold 2019 gegen Andy wurden die Fans von den Chants durchs Match getragen, die in meinen Augen das waren, was wirklich over war, nicht Bobby selber. Beim World Tag Team Festival war es dann der Umstand, dass Thatcher einfach reif für den Titelgewinn war und die Fans das gespürt haben, was durchs Match getragen hat. Die eigentlichen Matches waren dabei in meinen Augen nie herausragend und ohne die jeweiligen äußeren Umstände hätten sie nicht annähernd so gut funktioniert. So war es nun auch am Samstag. Das Match war meiner Meinung nach leider kein würdiger Abgang für David Starr. Es war insgesamt zu lang. Bis das Match überhaupt mal in eine spannende Phase kam und es auch mal erste Near-Falls gab, sind bestimmt 20-30 Minuten vergangen. Zu diesem Zeitpunkt war das Match dann sogar sehr gut und man merkte, wie die Fans etwas aufwachten und mehr involviert waren. Das Finish kam dann aber irgendwie sehr plötzlich. Den finalen Pin hat man nicht wirklich als Gefahr wahrgenommen. In so einem bedeutenden Match hätte für mich deutlich mehr dazugehören müssen, um Starr zu besiegen. Da will ich mehrere Aktionen mit Impact haben, aus denen Starr gerade noch so rauskommt, bis er komplett fertig ist und Bobby ihm dann den "Gnadenstoß" gibt. So kam es etwas aus heiterem Himmel und hat damit ebenfalls zu der schlechten Stimmung nach dem Match beigetragen.
- Das Finalmatch des 16 Carat Gold fand ich etwas komisch aufgezogen. Als früh klar wurde, dass Bailey - zuvor lupenreines Babyface - hier überheblich und herablassend als Heel agiert, war für mich sofort klar, wer das Match gewinnen würde. Der Spannung wegen wäre mir eine Auseinandersetzung Face gegen Face hier lieber gewesen. Das Match war anfangs auf einem richtig guten Weg, hatte dann aber einen Bruch, als die beiden den Ring verlassen haben. Da wurde Tempo rausgenommen, Bailey durch eine fehlgeschlagene Aktion plötzlich die komplette Offensive genommen und auch als es dann wieder im Ring war, zündete das Match bei mir nicht mehr richtig. Insgesamt trotzdem kein schlechtes Match, aber hier wäre definitiv mehr möglich gewesen.
- Über das gesamte Wochenende verstreut gab es etliche herausragend gute Matches. Ich möchte hier mal meine Highlights auflisten, das sind nämlich gar nicht so wenige: Shigehiro Irie vs. Scotty Davis bei Inner Circle, Bandido vs. Julian Pace und Shigehiro Irie vs. Black Taurus an Tag 1, Ethan Allen vs. Luke Jacobs und Daisuke Ikeda vs. Yuki Ishikawa bei Ambition, Joe Gacy vs. Anthony Greene beim Showcase, Mike Bailey vs. Bandido an Tag 2 (Match of the Weekend), Jay-AA vs. The Young Guns und Walter vs. Shigehiro Irie beim wXw Now Feature Event, sowie Mike Bailey vs. Jurn Simmons und Jeff Cobb, Bandido & Julian Pace vs. Hektor, Black Taurus & Puma King an Tag 3. Man sieht, dass viel der guten Action auch außerhalb des Turniers bei den Rahmenveranstaltungen passiert ist, die sind also meiner Meinung nach definitiv einen Besuch wert. Die Abendveranstaltungen waren in meinen Augen rein von den Matches her schwächer als die letzten Jahre, wo man so gut wie keine schlechten Matches dabei hatte. Dieses Jahr gab es schon das ein oder andere, was man gut und gerne überspringen kann, wenn man sich die Events auf wXw Now anschaut. Aber wie gesagt, übers gesamte Wochenende hinweg wurde definitiv viel sehr hochwertiges Wrestling geboten.
- Der ganze Aufbau in der Halle war großartig. Die Stage sah super aus. Ich finde es sehr löblich, dass man sich hier jedes Jahr etwas Neues überlegt, um die Carats auch optisch besser voneinander unterscheiden zu können. Die zusätzlichen Podeste in der Halle haben die Sichtverhältnisse deutlich verbessert. Dazu kommt der technische Meilenstein, dass das Live-Bild der Kameras auf einem großen Monitor gezeigt wurde - inklusive Live-Schnitt. Sehr geil, dass das so reibungslos funktioniert hat. Dadurch sind Aktionen auf der Matte und insbesondere Submission-Holds und Pin-Versuche so viel besser mitzuverfolgen, sodass man noch viel besser drin ist in der Action.
- Ich fand es sehr schön, dass man Timothy Thatcher zu diesem Abschieds-Match überreden konnte. Denn von allem was man so hört, wäre es ihm ja wohl am liebsten gewesen, still und leise aus der wXw zu verschwinden. Umso schöner, ihn hier nochmal mit Ishikawa zu sehen. Man merkt deutlich, wie viel es Thatcher bedeutet hat, mit Ishikawa zusammen aufzutreten. Ich fand es auch überhaupt nicht schlimm, dass es am Ende eigentlich Thommy Gießen war, der Thatchers Abschiedes-Rede übernommen hat. Es passt einfach zu Thatcher und wirkte sehr authentisch, dass er sich am Ende nicht mehr selbst äußern wollte, sondern dann doch schnell Backstage verschwunden ist. Für mich war es ein toller und emotionaler Abschied.
- Dass man im Womens-Match an Tag 3 nicht Killer Kelly den Spot gegeben hat, war für mich die richtige Entscheidung. Kelly random in so ein Match zu stecken hätte für mich keinen Mehrwert gehabt. Stattdessen Stephanie Maze auf dieser Bühne wichtige Erfahrung sammeln zu lassen, war da der bessere Weg. Auf der anderen Seite hat dieses Match auch gezeigt, wie unfassbar unterbesetzt und mies die Frauen-Division bei der wXw leider gerade ist. Denn das Match war nicht gut. Stephanie Maze kann deutlich mehr, konnte das hier mit Amale aber leider nicht zeigen. Amale ist eben selbst noch viel zu grün, um so eine Division tragen zu können. Vor ein paar Jahren hatte man immerhin noch Toni Storm, die ihre Gegnerinnen zu guten Matches ziehen konnte, aktuell geht das völlig ab. Wenn man es nicht schafft, zeitnah jemanden längerfristig zu binden, der in seiner Entwicklung schon weiter ist (das könnte meiner Meinung nach fast nur jemand aus dem UK-Bereich sein), dann sehe ich leider ziemlich schwarz für die Division und muss mir die Frage stellen, ob es nicht sinnvoll wäre, den Titel komplett einzustampfen. Denn ohne 4-5 Damen, die dauerhaft im Programm sind und von denen mal mindestens 1-2 auf einem richtig guten Niveau sind, ist die Division nicht wirklich tragbar in meinen Augen. Und nichts gegen Amale, Melanie, Kelly, Baby Allison oder Stephanie Maze, aber niemand von denen ist in meinen Augen aktuell in der Lage, ein herausragendes Match mit einer der anderen zu zeigen.
- Fazit: Mein drittes Carat nach 2018 und 2019 war gleichzeitig mein Schwächstes. Das mag aber auch daran liegen, dass die Vorjahre einfach unfassbar gut waren und damit die Messlatte (vielleicht unerreichbar weit) hochgelegt wurde. Insbesondere, dass Tag 2 dieses Jahr mit einem richtig harten Dämpfer endete, während in den letzten Jahren jeweils aktuelle Fan-Lieblinge gewonnen haben, spielt da natürlich eine bedeutende Rolle. Nichts desto trotz hatte das Wochenende viele Lichtblicke zu bieten, von herausragenden Matches, über tolle Promos hin zu spannenden Story-Entwicklungen. In der Summe bin ich also zufrieden mit meinem Besuch in Oberhausen und werde aller Voraussicht nach auch im nächsten Jahr wieder beim Carat vor Ort sein.