2023 war für das Wrestling in Sachen Mainstreampräsenz vielleicht nicht das schlechteste Jahr. Auf einem bekannten Streaming-Dienst wurde die Doku-Serie „Wrestlers“ sowohl von Fans wie Kritikern positiv aufgenommen und dürfte dem Interesse für diese Sportart sicher zumindest nicht geschadet haben. Vielleicht wurde sogar der eine oder andere Fan gewonnen. Demgegenüber geriet die zweite Staffel der Starz-Serie „Heels“ leider ein wenig ins Hintertreffen und wurde nach dem Release abgesetzt.
Gegen Ende des Jahres ist mit „The Iron Claw“ nun ein weiterer Wrestling-Film, dieses Mal aus dem seit einigen Jahren angesagten Genre des Biopics, sogar im Kino erschienen. Derartiges passiert durchaus nur alle Jubeljahre. „The Wrestler“ aus dem Jahr 2008 war nicht nur Mickey Rourkes Karriererettung, sondern malte ein teils rührendes, teils tristes, aber immer beeindruckendes Bild über das Wrestling und menschliche Schicksale, das weder beschönigt noch anklagt, aber durchaus zu berühren vermag. „Fighting with my Family“, unter anderem produziert von Dwayne Johnson, aus dem Jahr 2019 setzte Wrestling deutlich eingängiger (und überzeichneter) in Szene. Es wurde die Karriere der wohl allseits bekannten Paige nachgezeichnet, wobei möglicherweise manches bunter und verklärter dargestellt worden sein mag, als es der Realität entsprochen haben dürfte.
Positiv wurden freilich beide Filme aufgenommen, „The Wrestler“ vermochte gar manche Programmkinokritiker aus den Feuilletons der leitenden Printmedien zu überzeugen.
Wie verhält sich „The Iron Claw“ im Vergleich zu beiden Filmen? Um diese Frage gleich zu Beginn schnörkellos zu beantworten: Beeindruckend!
Alleine das Thema wirkt fast schon derart als „Hollywood-Selbstläufer“, dass man sich unwillkürlich zu fragen meint, warum ein Kinofilm hierüber nicht schon viel früher produziert worden ist. Der Von-Erich-Clan, eine DER Familien im Wrestlingbusiness und mit einer schicksalhaften Geschichte behaftet, bildet sowohl Rahmen als auch Hauptthema der Produktion. Es dürfte wohl keinen Wrestlinginteressierten geben, der nicht irgendwann einmal diesen Namen gehört hat. Selbiges gilt auch von dem „Fluch“, der seit jeher über dieser Familie schwebt bzw. schweben soll. Es verwundert nicht, dass eben dieser „Fluch“ auch einen wesentlichen Faktor des Films darstellt. Aber der Film ist viel mehr als nur die „Ausschlachtung“ eines skandalträchtigen Hypes um einen mysteriösen Familienfluch. Er geht viel tiefer. Ähnlich wie „The Wrestler“ rückt er die Leidenschaft für diesen Sport (sei sie aus freien Stücken entstanden oder erzwungen) ebenso in den Vordergrund wie den schmalen Grat zwischen Euphorie und Absturz und die hellen wie die dunklen Seiten des Business. Aber all das, mit Liebe zum Detail produziert, ist letztlich nur der Rahmen für eine Familiengeschichte, die in dieser Tragik (oder ist es doch Folgerichtigkeit?) am Ende ihresgleichen suchen könnte.
Dabei gelingt, weder das Thema Familie dem Wrestling vorzuziehen, noch umgekehrt. Beides ist schlicht nicht voneinander zu trennen. Daher ist dieser Film, wie auch „The Wrestler“, vielleicht am ehesten ein Film über das Leben. Und insofern hätte die Geschichte in ähnlicher Form, trotz der eben betonten Einzigartigkeit der Von-Erich-Familie, vielleicht doch auch über die Harts erzählt werden können. Fritz von Erich und Stu Hart wirken wie zwei vom gleichen Schlag.
Vor diesem Hintergrund schafft es der Film, die typischen, fast schon klischeebehafteten Elemente der ebenso klischeetriefenden texanischen White-Trash-Redneck-Conservative-Family so zu inszenieren, dass das Kunststück gelingt, diese zwar allesamt mühelos wiederzufinden, sie aber dennoch keine Sekunde als Selbstzweck auszuschlachten. Religion, Liebe, und familiärer Zusammenhalt auf der einen Seite sind ebenso präsent wie Gewalt, Autorität und existenzielle Verstörung auf der anderen. Diese mit dem Thema Wrestling zu kombinieren, ohne dabei Vorurteile zu bedienen, erscheint fast unmöglich, gelingt jedoch beeindruckend. Drehbuchautor und Regisseur Sean Durkin schafft es, wie es bei Kino-Zeit heißt, „die prägenden Motive seines bisherigen Schaffens – dysfunktionale Familien und diffuse Ängste –“ auch in „The Iron Claw“ eine eigene Atmosphäre entstehen zu lassen und dabei die eben angesprochenen Themen Familie und Wrestling zum roten Faden für seine Art des Erzählens zu machen. Achtet ebenso auf Details, die erzählt und betont werden, wie auf die, die einschneidend sind, aber nur nebenbei Erwähnung finden. Das ist nur eines der Elemente, mit denen Durkin arbeitet.
Natürlich handelt es sich bei alledem um einen Hollywood-Film, also um ein Unterhaltungsprodukt. Aber gerade die Tatsache, dass man ihn als einen solchen sehen sollte, sogar muss, macht ihn besonders. Denn er schafft wie gesagt das, was nur selten gelingt: Alles zu vereinen, was es zu vereinen gibt, um alle potentiellen Zielgruppen anzusprechen, ohne dabei forciert zu wirken: Die knallharten Wrestlingnerds kommen an dem Film eh nicht vorbei! Es gibt viel zu vergleichen, zu analysieren, zu recherchieren, zu feiern und natürlich aus historischer Sicht auch zu kritisieren. Diese Zielgruppe dürfte freilich für eine Hollywoodproduktion sogar die unbedeutendste, weil kleinste sein. Wer in seinem Leben irgendwann einmal Wrestlingfan war und auch heute noch „ab und zu mal reinschaut“, wird an „The Iron Claw“ ebenfalls Freude haben. Denn durch ihn erhält man bequem und anschaulich erzählt die Familiengeschichte der von Erichs aufbereitet und kann mit ein wenig selbstgefälligem Wehmut in seiner eigenen Wrestlingvergangenheit schwelgen. Wer mit Wrestling indes bisher entweder gar keine Berührungspunkte hatte oder sogar sämtliche Vorurteile hegt, die es eben so gibt, kann durch diesem Film erste belastbare Erfahrungen mit diesem Sport machen und auf diese Weise eventuell manche Vorurteile überdenken. Diese Gruppe dürfte die größte sein – und zugleich die wohl am schwierigsten zu erreichende. Wer sich als Cineasten sieht, dürfte an „The Iron Claw“ ebenfalls schwerlich vorübergehen können. Denn die Kritiken bisher sind wohlwollen bis euphorisch. Bei IMDB hat der Film zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Textes eine Bewertung von beachtlichen 8,1. Bei Rotten Tomatoes beträgt die Wertung gar 88%. Das National Board of Review of Motion Pictures schließlich hat den Film auf der Zielgeraden des Jahres 2023 noch in die National Board of Review Top 10 gewählt, neben Blockbustern wie Oppenheimer von Christopher Nolan, Barbie von Greta Gerwig und dem Gewinner Killers of the Flower Moon von Martin Scorsese.
Eine kleine Meisterleistung ist die von Fans wie Kritikern (zu Recht) fast schon überschwänglich gelobte wrestlerische Trainings- bzw. Beraterarbeit von Chavo Guerrero Jr., der selbst als Sheik eine kleine Nebenrolle hat (ebenso wie Maxwell Jacob Friedman, der in den Credits auch als Executive Producer aufgeführt wird). In Sachen Ausführung der Standart- und Signature Moves wurde hier Beeindruckendes geleistet.
Gleiches gilt die die liebevolle und detaillierte Darstellung der realen historischen Vorbilder. Bruiser Brody, Harley Race und die Freebirds sind leicht wiederzuerkennen und fügen sich wie selbstverständlich ein. Und Ric Flair meint man bei seiner Promo gar live vor sich zu sehen. Überhaupt dürfte der Nature Boy in den wenigen Sekunden, die er im Film zu sehen ist (gerade im Backstage-Segment), auf den Punkt gebracht worden sein…
Fazit:
Es bleibt eigentlich wirklich nur die Empfehlung, diesen Film auf sich wirken zu lassen. Vielleicht ist es am besten, ohne große Erwartungen ins Kino zu gehen und sich einfach darauf zu freuen. Ihr werdet einen wirklich guten Film sehen – und vielleicht noch mehr.
Gegen Ende des Jahres ist mit „The Iron Claw“ nun ein weiterer Wrestling-Film, dieses Mal aus dem seit einigen Jahren angesagten Genre des Biopics, sogar im Kino erschienen. Derartiges passiert durchaus nur alle Jubeljahre. „The Wrestler“ aus dem Jahr 2008 war nicht nur Mickey Rourkes Karriererettung, sondern malte ein teils rührendes, teils tristes, aber immer beeindruckendes Bild über das Wrestling und menschliche Schicksale, das weder beschönigt noch anklagt, aber durchaus zu berühren vermag. „Fighting with my Family“, unter anderem produziert von Dwayne Johnson, aus dem Jahr 2019 setzte Wrestling deutlich eingängiger (und überzeichneter) in Szene. Es wurde die Karriere der wohl allseits bekannten Paige nachgezeichnet, wobei möglicherweise manches bunter und verklärter dargestellt worden sein mag, als es der Realität entsprochen haben dürfte.
Positiv wurden freilich beide Filme aufgenommen, „The Wrestler“ vermochte gar manche Programmkinokritiker aus den Feuilletons der leitenden Printmedien zu überzeugen.
Wie verhält sich „The Iron Claw“ im Vergleich zu beiden Filmen? Um diese Frage gleich zu Beginn schnörkellos zu beantworten: Beeindruckend!
Alleine das Thema wirkt fast schon derart als „Hollywood-Selbstläufer“, dass man sich unwillkürlich zu fragen meint, warum ein Kinofilm hierüber nicht schon viel früher produziert worden ist. Der Von-Erich-Clan, eine DER Familien im Wrestlingbusiness und mit einer schicksalhaften Geschichte behaftet, bildet sowohl Rahmen als auch Hauptthema der Produktion. Es dürfte wohl keinen Wrestlinginteressierten geben, der nicht irgendwann einmal diesen Namen gehört hat. Selbiges gilt auch von dem „Fluch“, der seit jeher über dieser Familie schwebt bzw. schweben soll. Es verwundert nicht, dass eben dieser „Fluch“ auch einen wesentlichen Faktor des Films darstellt. Aber der Film ist viel mehr als nur die „Ausschlachtung“ eines skandalträchtigen Hypes um einen mysteriösen Familienfluch. Er geht viel tiefer. Ähnlich wie „The Wrestler“ rückt er die Leidenschaft für diesen Sport (sei sie aus freien Stücken entstanden oder erzwungen) ebenso in den Vordergrund wie den schmalen Grat zwischen Euphorie und Absturz und die hellen wie die dunklen Seiten des Business. Aber all das, mit Liebe zum Detail produziert, ist letztlich nur der Rahmen für eine Familiengeschichte, die in dieser Tragik (oder ist es doch Folgerichtigkeit?) am Ende ihresgleichen suchen könnte.
Dabei gelingt, weder das Thema Familie dem Wrestling vorzuziehen, noch umgekehrt. Beides ist schlicht nicht voneinander zu trennen. Daher ist dieser Film, wie auch „The Wrestler“, vielleicht am ehesten ein Film über das Leben. Und insofern hätte die Geschichte in ähnlicher Form, trotz der eben betonten Einzigartigkeit der Von-Erich-Familie, vielleicht doch auch über die Harts erzählt werden können. Fritz von Erich und Stu Hart wirken wie zwei vom gleichen Schlag.
Vor diesem Hintergrund schafft es der Film, die typischen, fast schon klischeebehafteten Elemente der ebenso klischeetriefenden texanischen White-Trash-Redneck-Conservative-Family so zu inszenieren, dass das Kunststück gelingt, diese zwar allesamt mühelos wiederzufinden, sie aber dennoch keine Sekunde als Selbstzweck auszuschlachten. Religion, Liebe, und familiärer Zusammenhalt auf der einen Seite sind ebenso präsent wie Gewalt, Autorität und existenzielle Verstörung auf der anderen. Diese mit dem Thema Wrestling zu kombinieren, ohne dabei Vorurteile zu bedienen, erscheint fast unmöglich, gelingt jedoch beeindruckend. Drehbuchautor und Regisseur Sean Durkin schafft es, wie es bei Kino-Zeit heißt, „die prägenden Motive seines bisherigen Schaffens – dysfunktionale Familien und diffuse Ängste –“ auch in „The Iron Claw“ eine eigene Atmosphäre entstehen zu lassen und dabei die eben angesprochenen Themen Familie und Wrestling zum roten Faden für seine Art des Erzählens zu machen. Achtet ebenso auf Details, die erzählt und betont werden, wie auf die, die einschneidend sind, aber nur nebenbei Erwähnung finden. Das ist nur eines der Elemente, mit denen Durkin arbeitet.
Natürlich handelt es sich bei alledem um einen Hollywood-Film, also um ein Unterhaltungsprodukt. Aber gerade die Tatsache, dass man ihn als einen solchen sehen sollte, sogar muss, macht ihn besonders. Denn er schafft wie gesagt das, was nur selten gelingt: Alles zu vereinen, was es zu vereinen gibt, um alle potentiellen Zielgruppen anzusprechen, ohne dabei forciert zu wirken: Die knallharten Wrestlingnerds kommen an dem Film eh nicht vorbei! Es gibt viel zu vergleichen, zu analysieren, zu recherchieren, zu feiern und natürlich aus historischer Sicht auch zu kritisieren. Diese Zielgruppe dürfte freilich für eine Hollywoodproduktion sogar die unbedeutendste, weil kleinste sein. Wer in seinem Leben irgendwann einmal Wrestlingfan war und auch heute noch „ab und zu mal reinschaut“, wird an „The Iron Claw“ ebenfalls Freude haben. Denn durch ihn erhält man bequem und anschaulich erzählt die Familiengeschichte der von Erichs aufbereitet und kann mit ein wenig selbstgefälligem Wehmut in seiner eigenen Wrestlingvergangenheit schwelgen. Wer mit Wrestling indes bisher entweder gar keine Berührungspunkte hatte oder sogar sämtliche Vorurteile hegt, die es eben so gibt, kann durch diesem Film erste belastbare Erfahrungen mit diesem Sport machen und auf diese Weise eventuell manche Vorurteile überdenken. Diese Gruppe dürfte die größte sein – und zugleich die wohl am schwierigsten zu erreichende. Wer sich als Cineasten sieht, dürfte an „The Iron Claw“ ebenfalls schwerlich vorübergehen können. Denn die Kritiken bisher sind wohlwollen bis euphorisch. Bei IMDB hat der Film zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Textes eine Bewertung von beachtlichen 8,1. Bei Rotten Tomatoes beträgt die Wertung gar 88%. Das National Board of Review of Motion Pictures schließlich hat den Film auf der Zielgeraden des Jahres 2023 noch in die National Board of Review Top 10 gewählt, neben Blockbustern wie Oppenheimer von Christopher Nolan, Barbie von Greta Gerwig und dem Gewinner Killers of the Flower Moon von Martin Scorsese.
Eine kleine Meisterleistung ist die von Fans wie Kritikern (zu Recht) fast schon überschwänglich gelobte wrestlerische Trainings- bzw. Beraterarbeit von Chavo Guerrero Jr., der selbst als Sheik eine kleine Nebenrolle hat (ebenso wie Maxwell Jacob Friedman, der in den Credits auch als Executive Producer aufgeführt wird). In Sachen Ausführung der Standart- und Signature Moves wurde hier Beeindruckendes geleistet.
Gleiches gilt die die liebevolle und detaillierte Darstellung der realen historischen Vorbilder. Bruiser Brody, Harley Race und die Freebirds sind leicht wiederzuerkennen und fügen sich wie selbstverständlich ein. Und Ric Flair meint man bei seiner Promo gar live vor sich zu sehen. Überhaupt dürfte der Nature Boy in den wenigen Sekunden, die er im Film zu sehen ist (gerade im Backstage-Segment), auf den Punkt gebracht worden sein…
Fazit:
Es bleibt eigentlich wirklich nur die Empfehlung, diesen Film auf sich wirken zu lassen. Vielleicht ist es am besten, ohne große Erwartungen ins Kino zu gehen und sich einfach darauf zu freuen. Ihr werdet einen wirklich guten Film sehen – und vielleicht noch mehr.
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