- Konsequenzen -
[FONT=Calibri, sans-serif]Was ist die Essenz dessen was wir sind? Wodurch definieren wir uns - was definiert uns und warum? Fragen, die sich jeder Mensch im Laufe seines Lebens gestellt haben sollte. Fragen, die sowohl Individuum als auch Gemeinschaft betreffen, Fragen die die Säulen der Welt stützen oder einreißen können. Mir war schlecht. Zum Kotzen schlecht. Ich schlenderte über die Hauptstraße durch die Einsamkeit der Nacht. Stille. Kein Bus. Kein Auto. Kein Mensch. Es war kalt, ich konnte meinen Atem sehen. Auch mir war kalt. Aber nicht aufgrund des Wetters. Das Wetter konnte mich mal. Sommerschlussverkauf - Alles muss raus Ich kam gerade von einer Party. Oder wollte zu einer gehen. Ich wusste es nicht mehr. Es war mir egal - es spielte keine Rolle. Mein Blick war auf den Boden gerichtet - oder in die Ferne, hauptsache ich sah keine Spiegelung meiner selbst, hauptsache ich ging weiter. Wohin? Egal. Nur selten schnellte mein Blick in die ausgeleuchteten Schaufenster der Geschäfte, gerade lang genug um zu sehen was sie warben. Sklaventreiber.Freiheit - ein falsches Ideal einer verkommenen Gesellschaft. Es roch nach Pisse. Eine kleine Pfütze hatte sich an einer alten Telefonzelle auf dem Bürgersteig gebildet. Ich merkte wie meine Hand zum Gürtel huschte. Nein. Der Wind pfiff durch die Gassen nahe der Hauptstraße und flüsterte verächtlich in die Häuser. Was bin ich? Ich blieb stehen. Starrte auf die Mülltonne eines Kleidergeschäftes. Konsequenzen. Wann? Der Wind trug anklagend eine Zeitung vor meine Füße. Aufgeschlagen war eine Werbeanzeige. Besteck! Messer so anmutig und majestätisch, dass sie ihr Herz durchstoßen sollten! Erschrocken schüttelte ich den Kopf und ging weiter. Wohin? In die Nacht, den Morgen. Ende oder Anfang. War das überhaupt relevant? Ist nicht jeder Anfang der Beginn eines Endes? Eine Glocke begann zu schlagen. Dong! Die Kirchenuhr! Mein Blick suchte aus Instinkt das Ziffernblatt fand aber nur helle Leuchtreklamen und pseudophilosophische Lebensweisheiten. Dong! Alles reglementiert. Alles. Wieder neigte ich den Kopf zur Seite und schaute in ein Geschäft, das besonders geschmackvolle Kaffemaschinen anbot. Soll ich die Scheiße fressen oder was? Angewidert schaute ich auf die andere Straßenseite. Ein Elektrogeschäft. Flachbildfernseher mit optimierten 3D Effekt. 3D. Ein neuer Trend. Widersetzen? Zwecklos. Schritt für Schritt wird man erneut bevormundet. Subtil. Ohne es zu merken. Kein weiterer Glockenschlag mehr? Schon 2. Oder 3? Ich hatte nicht mitgezählt. Es war mir egal. Was wäre bloß los wenn. Doch dafür war es zu spät. Viel zu spät. Die Ketten waren uns schon angelegt. Ein Laptop. Mit Facebook-Profil von Max Mustermann. Wie gern ich ihm in die Fresse schlagen würde, diesem Max Mustermann. Ich stoppte. Langsam atmete ich aus und hebte den Kopf, starrte in den mich belächelnden Mond. Leidend und widerwillig blinzelte ich, hielt die Augen geschlossen. Tu es. Als ich sie wieder öffnete starrte ich durch eine Windschutzscheibe in mein Spiegelbild. Du willst Veränderung? Verändere dich selbst! Plötzlich spürte ich einen stumpfen Schmerz im Unterkiefer und fiel zu Boden. Die Straße war feucht. Feucht und dreckig. Ich fühlte mich wohl. Blieb einige Zeit liegen. Spuckte Blut. Wie wir alle leben. Am Boden. Am feuchten, dreckigen Boden! Spottend sang eine Krähe ein Loblied. Nur aufstehen dürfen wir nicht. Aber über den ganzen Boden kriechen. Frei wie wir sind. Frei wie wir glauben zu sein. Mühsam richtete ich mich auf, strich mir über den schmerzenden Kiefer und betrachtete ein weiteres Mal mein Spiegelbild. Ich lächelte. Schon besser. Ein wenig stolz ging ich weiter. Blut ronn von der Unterlippe herab ans Kinn und tropfte auf die Straße. Scheiß egal. Ein an einer Laterne angebundener Hund begann klagend im matten Lichtkegel zu jaulen und biss in seine Leine. Einer der die Leine die ihm angebunden wurde erkennt und sich wehrt. Ich hustete, spuckte Blut. Und wir sehen uns dem Tier überlegen. Sind wir doch selber angeleint, angeleint von den Dämonen die wir beschworen haben. Doch die uns schon längst alle kontrollieren. Meine Lederjacke kratzte. Schnürrte mir die Luft ab. Angeekelt riss ich sie mir vom Leib und warf sie auf die Straße. Ich bin kein Konsum. Definiere mich nicht durch Besitz. Wütend öffnete ich den Verschluss meiner Armbanduhr und warf sie in Richtung Bürgersteig. Ich habe nie um all das gebeten. Ich habe nie diese Parameter gewollt. Sie wurden mir auferlegt. Wie jedem von uns. Wie es das System will.Das Leben ist eine Helix aus Arbeit und Konsum.Wir arbeiten um zu konsumieren, konsumieren um unser Elend zu leugnen. Ich riss mir meinen Ehering vom Finger und schleuderte ihn in einen Gulli. Warum hast du überhaupt geheiratet, wenn du nicht an die Scheiße glaubst! Wenn du gerne andere Weiber vögeln willst!Weil dir Monogamie vorgepredigt wird, genau wie die Parameter nach denen du bewerten sollst. An denen Erfolg und menschliches Leben gerichtet wird. An denen wir Menschen beurteilen wie die Nazis es einst getan haben. Aufgebracht legte ich mein T-Shirt ab, ließ es fallen. Mir wurde kälter. Nur subtiler. Alles wird nach Normen und Werten unterteilt, die nie hätten existieren müssen. Gepresst in eine Form, Sein um zu sein, nicht um zu werden.
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[FONT=Calibri, sans-serif]Ich griff nach einem Stein. Konsequenzen. Jetzt. Es schmeckte nach Blut. Fühlte sich gut an. In der Scheibe des Elektrogeschäftes spiegelte sich das geschwungene “M”, ein siegessicheres Lächeln auf den Lippen. Ich biss mir auf die Lippe. Gefangen, im eisernen Käfig des schnellen Glückes, unwissend, Alles verkennend und Nichts verstehend. Was verstehend? Die Gedanken schossen durch meinen Kopf. Konsequenzen. Veränderung. Wieso? Wie Patronen. Die Wahrheit predigend, der Lügen Zunge im Maul. Relevanz vorgelebt, ringend mit Boulevard. Der zarte Jungfernkörper umrungen von Schlangengestalt. Unbemerkt. Uns alle mit dem goldenen Apfel gelockt, gelockt ins gesellschaftliche Gericht, geblendet und gerichtet an Werten, die wir eigentlich verachten sollten. Müssten. Wir akzeptieren das Urteil, die Strafe. Sitzen sie ab. Heißen sie für gut. Propagieren sie. Leben sie. Mein Kopf schmerzte, meine Augen und Ohren wollten vergessen, konnten aber nicht. Mein Herz raste, rebellierte gegen den schwach gewordenen Geist. Zähneknirschend blickte ich auf das Schaufenster. Was ist wichtig? Was sie dir sagen. Was füllt dich aus? Was sie dir propagieren. Was erstrebst du? Was sie wollen. Was fühlst du? Schwindel ergriff mich. Wusste nicht was ich fühlen sollte, was ich fühlen wollte, fühlen durfte. Glück, Neid, Zorn, Hass, Triumph, Befriedigung, Vollendung, Hass, Absolution, Wut, Lebenslust, Hass, Sehnsucht, Todeswille, Hass, Schmerz, Lust, Hass, Gier, Mitleid, Hass, Angst, Hass, Scham, Hass, Liebe, Hass. Schreiend warf ich den Stein gegen das Schaufenster. Kerben bildeten sich im Glas. Durchrissen wie Narben das Gesicht meines Spiegelbildes, Narben die wir alle trugen, die wir von Geburt an trugen. Die wir System und Gesellschaft verdanken. Ein lautes Heulen. Die Alarmanlage. Mein Blick richtete sich wieder gen Straße, starrte auf die kleine Blutlache, die langsam unter meinen Schuh ronn. Vergessen. Vergangen. Verloren. Der Wind pfiff nicht mehr durch die Gassen. Die Krähe war ob der Sirene erschreckt geflohen. Ich stand noch immer auf der Straße. Wollte nicht gehen. Plötzlich war mir heiß. Was hält mich hier außer Ketten? Eine Polizeisirene. Konsequenzen. Das Leben des Einzelnen ist die Konsequenz der gesellschaftlichen Prägung. Das Leben der Gesellschaft ist die Konsequenz des Systems. Das System ist die Konsequenz falscher Ideale. Ein Polizist stieg aus. Regungslos stand ich noch immer vor dem durchrissenen Schaufenster. Ich warf ihm einen flehenden Blick zu. Vielleicht auch hasserfüllt. Es spielte keine Rolle. Nichts davon. Der Polizist schrie und richtete seine Waffe auf mich. Wahrscheinlich verlangte er von mir die Hände zu heben. Verlangen. Was ich verlange? Kein Verlangen. Ich hörte ihm nicht zu. Es war mir egal. Ein breites Grinsen begann mein Gesicht zu zieren. Wer ich bin? Die Hand des Polizisten begann zu zittern. Ich merkte es ohne es tatsächlich zu sehen. Sein Herz schlug schneller. Eine Konsequenz. “Sir, ich sage es ein letztes Mal. Drehen sie sich zu mir und heben sie die Hände!” Eine Konsequenz dessen was ich bin. Ich ging langsam auf den Polizisten zu. Grinsend. Mir war noch immer heiß. Vielleicht weil ich wusste, was gleich passieren wird. Und was ich bin sind meine Motive. Der Polizist wirkte verängstigt. Verstört. Meine Augen funkelten als ich an die Weste packte, die meine Brust umschlung. Meine Motive? Mittlerweile hatte der Polizist die Waffe weggesteckt und redete beschwichtigend auf mich ein. Ich lächelte und griff nach dem Auslöser. Den ganzen Laden hochgehen lassen. Ein Päckchen Sprengstoff war an der Weste befestigt. Die Konsequenz daraus? Triumphierend hob ich den Auslöser und schaute in den panischen Blick des Polizisten.Hass. Plötzlich hörte ich die Kirchenglocke wieder. Und wieder. Verwirrt schaute ich empor. Und wieder. Ein Schuss. Und wieder. Ich fiel zu Boden. Hass war die einzige Konsequenz. Die Sonne blendete mich. Und wieder. Ich bekam keine Luft. Noch einmal fiel mein Blick auf die Fernseher im Elektronikgeschäft. “Breaking News: Der geistig verwirrte Mann auf dem Leonidenplatz wurde soeben niedergeschossen. Die Situation ist entschärft.” Es wurde dunkel, aber nicht so dunkel wie es in diesem Leben sein kann. Die Konsequenz? Die Konsequenz zu ziehen liegt bei Ihnen. Überlegen sie gut. Es ist vielleicht das Einzige was ihnen am Ende des Tages bleibt.
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